Moderner Segelschiffskapitän

(…) Es gibt gute Schiffe, und es gibt schlechte Schiffe. Es gibt gute Kapitäne, und es gibt weniger gute Kapitäne. Eines aber gibt es nur selten: schlechte Kapitäne. Dafür wird in dieser Laufbahn viel zu oft, viel zu hart, viel zu fein gesiebt, ehe das Große Patent, auch wenn es gemäß Gesetz nach Absolvierung von Seefahrtzeit und Steuermanns-Examen auf dem Papier erworben wird, praktische Anwendung findet: Der Kapitän ist nicht nur der erste Nautiker eines Schiffes, nicht nur das, was man an Land einen Direktor heißt, er ist mehr in seiner Pflicht und seiner Verantwortung für das Schiff, dessen Ladung und das Leben an Bord, er ist das, was wohl die Briten am treffendsten nachempfinden lassen, wenn sie sagen, er ist ein MASTER NEXT TO GOD. (…)“ (Jochen Brennecke: Windjammer, Herford 1968)

Wer heute die Laufbahn des Kapitäns „auf großer Fahrt“ einschlägt, muss zunächst Wirtschaftsingenieur für Seeverkehr sein. Ein Kapitän ist auch heute noch immer das, was früher „Direktor“ genannt wurde: er ist Geschäftsführer eines schwimmenden Industriebetriebes. Mal werden „nur“ Container verwaltet – im Falle von z.B. Tankschiffen und Projektladungen stellt der Kapitän aber auch heute noch das Wertpapier (Konnossement/ Bill of Lading) über die an Bord befindlichen Güter aus, das dann an der Börse gehandelt wird. Er nimmt auch heute z.T. erheblichen Einfluss auf Frachtraten und wirtschaftlichen Erfolg des Schiffes.

„Fracht“ kann man dabei übrigens weder laden noch transportieren: „Fracht“ ist das Entgelt, das für den Transport von Gütern (die nennt der Seemann „Ladung“) bezahlt wird – „Fracht“ ist also in etwa synonym zu „Miete“.

Das ist Basiswissen eines Kapitäns. Es veranschaulicht sehr schön, wie häufig man an Land glaubt, vermeintliche Fakten aus der Seefahrt zu kennen – und wie häufig man auch daneben liegt. Welches Recht gilt auf einem Schiff unter Liberia-Flagge mit deutschem Kapitän, ukrainischem Leiter der Maschinenanlage, peruanischen Offizieren und Filipino-Besatzung, das Güter von Brasilien nach Australien transportiert?

Zu diesen formaljuristischen Kenntnissen des internationalen Handels kommt der Faktor „Seefahrt“: Den Naturgewalten ausgeliefert und auf sich allein gestellt (der nächste Arzt kann Tage, ja Wochen entfernt sein), muss eine Hierarchie existieren, die auf Autorität fußt. Die vom Gesetzgeber – welcher in der Welt im Einzelfall auch immer zuständig sein mag – gegebene formale Autorität kommt dabei in allen wichtigen Momenten schnell an ihre Grenzen. Im Angesicht tödlicher Gefahr wäre das Argument „…weil das im §121 des Seearbeitsgesetzes steht“ jedenfalls wenig wirksam. Die natürliche und informelle Autorität ist diejenige, die an Bord eines Seeschiffes zählt.

Wenn die „Ladung“ dann noch aus Menschen besteht – wie auf Passagierschiffen – gilt es als Kapitän, sich auch in Sachen „Ladungsfürsorge“ mit einer gehörigen Portion informeller Autorität den Passagieren zu widmen. Schließlich sollen die sich rundherum wohl und behütet an Bord fühlen und dabei auch tatsächlich sicher transportiert werden.

Wer über Jahrzehnte hinweg Seeschiffe als Kapitän führt, der weist das Wissen und Können eines Offshore-Expeditionsleiters, eines Geschäftsführers eines schwimmenden Industriebetriebes, eines Sanitäters in der dritten Welt, eines Seelsorgers und international tätigen Handelsvertreters nach. Ach ja: und seemännische und nautische Grundkenntnisse natürlich.

Windjammer nehmen dabei eine Sonderrolle ein: sie sind aus verschiedenen Gründen ungleich anspruchsvoller zu führen. Durch ihr Antriebskonzept ist die richtige Einschätzung der Wind- und Wetterverhältnisse von existentieller Bedeutung. Hinzu kommt, dass die Nutzung der häufig historischen Technik der Takelage zwei „moderne“ Aspekte mit sich bringt, die sich auf den ersten Blick nicht zeigen: 1. Know-How. 2. Modernes Sicherheits-Empfinden.

Welcher moderne Seemann beherrscht noch einen Hakenschlag oder kann überhaupt eine Arbeits-Talje richtig einsetzen? Hier muss heute der Kapitän eines Großseglers die Ausbildungshöhe seiner Besatzung in klassischer Seemannschaft deutlich detaillierter mit ins Kalkül ziehen, als das noch vor 80 Jahren der Fall war. Gerade im Umgang mit alter Technik ist zudem das Unfallrisiko deutlich erhöht. Vor 80 Jahren hat keiner einen Helm auf dem Fahrrad getragen und der Sand auf dem Spielplatz trug auch kein „zum Spielen geeignet“ Zertifikat. Ähnlich war das in der Seefahrt. Hier hat man sich auf gute Seemannschaft verlassen und – gerade auf den großen Handelsseglern – auch den Verlust von Menschenleben in Kauf genommen. Das kann und will sich heute kein Reeder eines Segelschiffes mehr leisten. Mit drastischen Folgen für das Handeln des Kapitäns, das umso vorausschauender und bedachter ausfallen muss.

Gerhard hat alle namenhaften Windjammer als Kapitän geführt. Er war bei seinen Passagieren sehr beliebt und nicht wenige sind immer wieder an Bord zurück gekommen, wenn er nur als Kapitän ebenfalls an Bord war.
Seine Besatzungen haben ihn sehr geachtet und auch bei seinen Kollegen war der Respekt hoch und von Herzen ehrlich.

Vordergründig hat er seine Sache gut gemacht. Er war ein guter Kapitän. Hintergründig wirkt sein Handeln aber noch viel weiter:
Er hat die Persönlichkeit und das Wissen der alten Segelschiffs-Männer erfahren, erlernt und angenommen. Dann hat er diesen Schatz aber nicht konserviert, sondern sinnvoll und weitsichtig mit den Anforderungen an den heutigen Kapitän kombiniert. Dabei hat er stets ein gutes Beispiel an sich selbst gegeben, hat sich selbst immer noch härter gefordert, als seine Besatzung.

Herausgekommen ist der Prototyp des modernen Segelschiffs-Kapitäns, der er zweifelsohne war. Er ist Retter der alten Segelschiffs-Werte, ja. Aber zugleich ist er der Konstrukteur eines modernen Typus Kapitän. Ein Typus Kapitän, der mit Herz und Verstand traditionelle Seemannschaft sinnvoll mit digitaler Schiffsführung verbindet. Ein Vorbild für jeden Nautiker.

Journalisten und Traditionalisten bezeichnen ihn gerne als einen der letzten Großen seiner aussterbenden Zunft. Ich sehe ihn aber eher als den ersten Großen der neuen Generation seiner wachsenden Zunft. Kein romantisch-verklärtes „Früher“, sondern ein klares, leuchtendes „Morgen“. Denn sein Handeln strahlt weit in die Zukunft und es gibt gerade modernen Kapitänen Orientierung und Halt in der digitalen Welt.