Segeln mit Gerhard Lickfett
Als wir 1992 eine erste Reise auf dem „Star Clipper“, die Jungfernfahrt ab Hamburg buchten, verbarg sich hinter diesem Namen noch nichts. Es waren Orte wie Southhampton, und damit auch die Isle of Wight, wenig angelaufen, und schließlich Lissabon, die lockten. Auch der Kapitän besaß zu dieser Zeit noch nicht den Bekanntheitsgrad, der ihn in späteren Jahren umgab. Doch bald dann verbanden sich für mich mit diesem Schiffsführer untrennbar die „Star Clippers“, und es gehörte ein Gerhard Lickfett dazu, diese Schiffe wie ein Instrument zu spielen, mit einer Leidenschaft, die bei Gerhard erkennbar wachgehalten und belebt wurde durch seine Fahrenszeit auf der „Passat“ und der „Alexander von Humboldt“. Diese eleganten Schiffe verkörperten die Phantasie und den Traum eines neuen Segelns, in den Räumen eher Luxus als Last, und in der Freizügigkeit ihrer Reviere auch die Chance, etwas von der See zu vermitteln. Leicht kann diese Verklarung daher auch zur Verklärung geraten.
Bei der Ausfahrt war der „Star Clipper“ ein neues Schiff, dessen Farbe noch kaum getrocknet war, einiges der Ausrüstung noch nicht ausgepackt oder am Platz gezurrt war; mit der Unaufgeräumtheit, und trocknenden Segelhandbüchern auf dem kleinen Brückendach herrschte fast „Zustand“. Eine „open bridge“ hieß eben auch offene Karten.
Lickfett entschuldigte eher, dass die Masten noch etwas verquer oder uneins stünden, was dem ungeübt peilenden Auge angesichts himmelwärts konvergierender Pardunen und Stage aber nicht besonders auffiel. Auffallender war, dass noch während der Reise Takler an Bord kamen, ihren Laptop, damals noch eine Besonderheit, auf einen Poller platzierten, und nach prüfenden Blicken in die Takelage flugs noch fehlendes eintippten. Auch der Chief musste noch lernen, dass das Ruder beim Segeln eine andere Lage einnahm als unter Maschine, die er im engen Fahrwasser des Kanals nicht einfach mal probeweise anwerfen konnte, ohne einen markanten Kurswechsel zu riskieren. Doch als der Fotograf des berühmten Beken of Cowes vor der Isle of Wight aufkreuzt, um den „Star Clipper“ im großen Format festzuhalten und damit in die lange Reihe der Segler aufzunehmen, scheint die Welt der Tradition noch ungebrochen. Als er in die Biskaya einläuft, hat „Star Clipper“ erste Berührung mit der See gehabt, die sich ein Stück des Namensbrettes an Steuerbord geholt hat.
Nach einer unruhigen Nacht, zum Frühstück im Salon, zählt der Kapitän mit dem Zeigefinger die von der Seekrankheit verschonten spärlich anwesenden Häupter, das bedarf keiner Worte. Es ist seine Art, die Gäste kennenzulernen, das interne Revier in den Salons, in dem „das Besteck“ seine landläufige Bedeutung bekommt. Morgendlich mustert er seine Passagiere, um herauszufinden, welche Manöver sie und der Koch ihm erlauben, ob gefüllte pools und Kochtöpfe auf ebenem Kiel, oder mit „Lage“.
Frühaufsteher, die ihnen bereits in der 4-8 Wache auf der open bridge in den Nacken starren, sind später möglicherweise eine besondere Art des Morgengrauens für manche Offiziere, die nicht so gewohnt sind, dass ihnen über die Schulter gesehen wird.
Dann geht es in die Zodiaks, zu einem ersten, dann traditionellen Fototermin, einer aufregenden Umrundung, aus deren Perspektive der „Star Clipper“ optisch tief in die Dünung taucht.

Dieses Vertrauen, dass seine Gäste schon zurechtkommen werden, ist ehrenvoller als jede Äquatortaufe, und nicht jeder Kapitän später riskierte und gewährte soviel an Aktivitäten. Als wir schließlich in den Tejo einlaufen, ist dem Kapitän eine Anspannung anzusehen. Doch diese Reise verläuft gut und glücklich, wie alle anderen auch.

Jahre später, 1999 sehen wir uns wieder, Richtung Goa. Permanent wird am Schiff gearbeitet und verbessert. An Bord ist der Reeder Mikael Krafft, mit dem die fraglichen Einrichtungen erläutert werden, bevor er das Schiff in Rhodos wieder verläßt. Das theatralisch inszenierte Abschiedswinken Lickfetts (welcher Seemann hält sonst dafür große weiße Servietten bereit?) nach dem Besuch läßt erkennen, wie der Kapitän in vielen Dingen seinen Status („Master next god“) und eine eigene fachliche Meinung zu behaupten versucht. Er verrät verschmitzt, dass kontroverse Diskussionen mit Krafft im ehrfurchtheischenden Niveau der zweiten Saling der turmhohen Masten schneller zu „seinem“ Ergebnis führten. Doch offensichtlich bleibt weiterhin das Manövrieren zwischen dem Betrieb eines Segelschiffes und den Erwartungen der kommerziellen Kreuzschifffahrt in einem schwierigen und problematischen Fahrwasser.
In den langen Seetagen ohne Häfen öffnet sich der östliche Horizont zur open sea, ihrer Geschichte und ihren Sagen. Zeit, das Garn zum Schalk zu spinnen, angespornt von den eifrigen sidekicks des blonden Kreuzfahrtdirektors.

Unter Segeln wirft der Kapitän zur Markierung einen leeren Karton über Bord , und zelebriert eine Wende, bei der die bezahlte Crew an den Brassen und Schoten seiner Begeisterung mit gewissem Abstand folgt. Er demonstriert „the way of a ship“; das ist aber nicht der Abgesang eines Alan Villiers, sondern der Nachweis, dass er sein Handwerk versteht und wie ein tall ship zu handeln ist.
Auch für die Muße ist Lickfett vorbereitet. Er zeigt uns die Liegematten, deren Kopfteil umgeschlagen und verschweißt ist. So läßt sich durch mehrere Matten ein Tampen durchstecken und in einer Bucht zu einem großen Pool längsseits aufreihen, zum Vergnügen der Passagiere, die mitten im Indischen Ozean ein Bad nehmen können, ohne achteraus zu bleiben.
Plötzlich liegt ein arabischer Fischer längsseits, mit dem der Koch frischen Fisch gegen Obst und Gemüse tauscht. Weiter ostwärts ist ein Einhandsegler unterwegs nach Australien, Lickfett fährt ihm ein großzügiges Lee und hilft mit einer Tonne Diesel aus – „ist ja nicht mein Geld.“ Immer begeistert und offen für das Geschehen auf See erzählt er, wie er in Thailand neue Inseln entdeckt hat und auch nach Postkarten navigierte.
Bei diesem crossing lernen wir Klaus Müller kennen, einen ehemaligen Handelsschiffskapitän, nun Kollege von Gerhard Lickfett, hier als Gast. Er kennt den Alltag auf See. In einem Treffen an der Brücke gedenkt er des Sonntags, der See als Ort der Besinnung und Versammlung schweifender Gedanken. Peace ist dort, wo man ihn findet. Später wird er einen Dudelsack der schottischen Highlands, seiner Wahlheimat, auf die hohe See transferieren und, unvergesslich, im Spiel die Erinnerungen und Gefühle jedes Einzelnen wachrufen. So geben diese Kapitäne dem Leben an Bord ihre eigene Deutung, ihre Gedanken und Erfahrungen als Essenz über den Tag hinaus.
Als wir uns in Goa von Gerhard verabschieden, und er uns seine Post anvertrauen will, zeigt er uns in seiner Kabine die Pläne des neuen, gerade im Bau befindlichen „Royal Clipper“ und entwickelt seine Vorstellungen, wie die Masten samt Rahen aufgerichtet werden sollen.
Dass er stets mit Kopf, Herz und Hand bei der Sache war und immer noch gut zugreifen konnte, wird später erneut klar, als er sich mit der Technik des Stabhochsprungs befasst. Komplexer hat wohl nie ein Seemann mit Spieren jongliert. So bleibt er uns unvergesslich, unerschrocken und draufgängerisch gewitzt.
Wie Gerhard Lickfett sich weiter mit den langgehegten Plänen auseinandersetzt, Frachtschiffe erneut zu besegeln, muss jedoch von den Freunden berichtet werden, die ihn noch lange Zeit in Hamburg erleben durften.
Jobst Broelmann, August 2017, München